Individualarbeitsrecht in Spanien: Lohn und Gehalt des Arbeitsverhältnisses

Die Gestaltung der dem Arbeitnehmer für seine Arbeitsleistung zu zahlenden Vergütung (salario) ergibt sich in erster Linie aus dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Tarifvertrag, im Übrigen aus dem individuell vereinbarten Arbeitsvertrag. Gültig ist stets die für den Arbeitnehmer günstigere Regelung. Die Vergütung des Arbeitnehmers besteht zunächst aus dem so genannten Grundgehalt (salario base), das nach Zeitabschnitten (unidad de tiempo) oder erbrachter Arbeitsleistung (unidad de obra) bemessen wird, zu dem zusätzliche Vergütungsleistungen (complementos salariales) und besondere Gratifikationen (gratificaciones extraordinarias) treten können. Die in den meisten Fällen tarifvertraglich geregelte Zusatzvergütung (complemento salarial) knüpft dabei entweder an persönliche Merkmale des Arbeitnehmers (etwa die Dauer seiner Firmenzugehörigkeit), an die Art der Arbeit (etwa deren Gefährlichkeit oder die Disponibilität des Arbeitnehmers auch außerhalb der normalen Arbeitszeit) oder an die wirtschaftliche Situation des Unternehmens an. Jeder Arbeitnehmer hat einen gesetzlichen Anspruch auf zwei Gratifikationszahlungen im Jahr (gratificaciones extraordinarias), jedenfalls zu Weihnachten und in einem Monat, der tarifvertraglich oder durch Vereinbarung mit der Arbeitnehmervertretung im Betrieb festgelegt wird. In den meisten Fällen handelt es sich hierbei um einen Monat im Sommer. Auch die Höhe der Zahlungen wird zwischen den Tarifparteien vereinbart. Tarifvertraglich möglich ist es hierbei außerdem, die Gratifikationszahlungen auf die zwölf Monate des Jahres umzulegen.

Die individualvertragliche Vergütungsvereinbarung hat neben dem jeweils anwendbaren Tarifvertrag die für alle Arbeitnehmer gleichermaßen geltende gesetzliche Mindestvergütung (Salario Mínimo Interprofesional, SMI) als Grundvergütung zu beachten. Diese – unpfändbare- Mindestvergütung wird jährlich durch die Regierung festgelegt und lag für das Jahr 2009 bei insgesamt 8.736,00 EUR p. a. bei Vollzeitbeschäftigten. Arbeitsverträge, die dieses Minimum unterschreiten, sind insoweit unwirksam.

Ähnlich wie im deutschen Recht existiert in Spanien die Rechtsfigur der betrieblichen Übung, nach der der Arbeitgeber unter Umständen durch die freiwillige Leistung besonderer Zahlungen über einen längeren Zeitraum hinweg einen vertraglichen Zahlungsanspruch des Arbeitnehmers begründet, der über die gesetzlichen Anforderungen, die tarif- oder individualvertraglichen Bestimmungen hinausgeht. Diese Erwirkung greift allerdings nur dann Platz, wenn sich der Wille des Arbeitgebers, tatsächlich einen solchen Zahlungsanspruch entstehen zu lassen, nachweisen lässt.

Im Übrigen ist, wie schon beim Vertragsschluss eines Arbeitsvertrags in Spanien, bei der Vereinbarung der Vergütungshöhe das Verbot der Ungleichbehandlung zu beachten. Auch insofern sind sich das deutsche und das spanische Recht sehr ähnlich.

Haftung im Arbeitsverhältnis

Der Arbeitgeber haftet grundsätzlich für Arbeitsunfälle, die sich in seinem Betrieb oder auf dem Weg zur Arbeitsstätte ereignen, nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen. Diese Haftung besteht unabhängig von der Eintrittspflicht der gesetzlichen Unfallversicherung. Allerdings legt die Rechtsprechung hier zugunsten des Arbeitgebers einen modifizierten Verschuldensmaßstab an: Der Arbeitgeber kann nur haftbar gemacht werden, wenn sein Beitrag zur Verursachung des Arbeitsunfalls auf sehr schwerem Verschulden beruht, das weit über die Verletzung von Sicherheitsvorschriften hinausgeht. Für den zufälligen und unvorhersehbaren Eintritt des Unfalls besteht keine Haftung des Arbeitgebers.

Eine Rechtsfigur, die der von der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit entwickelten Haftungsprivilegierung des Arbeitnehmers vergleichbar wäre, ist in Spanien unbekannt. Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber gegenüber etwa für die Beschädigung von Betriebsmitteln nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen verantwortlich ist.

Lohnzahlung trotz Nichtleistung

Während der Zeit einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit (incapacidad temporal) des Arbeitnehmers, die sich aus Krankheit oder Unfall ergeben kann, ist das Arbeitsverhältnis zeitlich ausgesetzt. Dies bedeutet, dass für diese Dauer keine Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers besteht, auf der anderen Seite jedoch auch keine Vergütungspflicht des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber ist allerdings verpflichtet, nach Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers diesen zu gleichen Bedingungen weiterzubeschäftigen.

Voraussetzungen des Sozialversicherungseintritts

Für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers schließt das gesetzliche Sozialversicherungssystem die Lücke der entfallenden Vergütung durch die Leistung finanzieller Unterstützung (subsidio económico). Für den Empfang dieser Leistungen muss der Arbeitnehmer ordnungsgemäß in der gesetzlichen Sozialversicherung angemeldet sein. (Grundsätzlich hat der Arbeitgeber die Pflicht den Arbeitnehmer anzumelden. Ausnahmen gibt es bei Selbständigen, Handelsvertreter und Heimarbeitern). Im Falle einer Erkrankung, die nicht berufsbedingt ist, besteht zusätzlich das Erfordernis der Beitragszahlung während eines der Erkrankung vorausgehenden Mindestzeitraums. Danach müssen Beiträge für mindestens 180 Tage innerhalb von fünf Jahren unmittelbar vor der betreffenden Krankschreibung eingezahlt worden sein. Diese Voraussetzung entfällt bei Unfällen jeder Art sowie bei Berufskrankheiten.

Der sozialversicherungsrechtliche Leistungsanspruch des Arbeitnehmers hat unterschiedliche Gestalt je nach Art seines Entstehungsgrundes:

  • Im Falle eines Arbeitsunfalls oder berufsbedingter Erkrankung entsteht der Leistungsanspruch am Tag nach dem Fernbleiben von der Arbeit. Für den Tag des Unfalls bzw. des Eintritts der Erkrankung selbst bleibt der Arbeitgeber zur Zahlung verpflichtet;
  • Im Falle sonstiger Erkrankung oder eines sonstigen Unfalls tritt die Sozialversicherung ab dem 16. Tag nach dem ursächlichen Ereignis ein. Der Arbeitgeber ist hingegen ab dem 4. bis einschließlich 15. Tag zur Zahlung der entsprechenden Summe (siehe 2.2.3.4) verpflichtet.

Dies bedeutet, dass der Arbeitnehmer grundsätzlich während der ersten drei Tage keinerlei Leistungen erhält. Allerdings treffen hier die meisten Tarifverträge zulässigerweise abweichende Regelungen.

Dauer der Versicherungsleistung

Die Dauer der sozialversicherungsrechtlichen Leistung beträgt höchstens 12 Monate, beginnend mit dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit. Diese kann allerdings unter bestimmten Bedingungen einmal um sechs Monate auf insgesamt 18 Monate verlängert werden. Voraussetzung für die Verlängerung ist, dass dem Arbeitnehmer nach einer medizinischen Untersuchung reelle Heilungsaussichten innerhalb der folgenden sechs Monate bescheinigt werden. Die Verlängerung wird vom Sozialversicherungsträger gewährt, dessen Entscheidung unterliegt dabei der Anfechtung vor der Sozialgerichtsbarkeit. Falls die Frist verstreicht, ohne dass die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers wiederhergestellt ist, ist zwingend über den Eintritt der dauernden Berufsunfähigkeit (incapacidad permanente) zu entscheiden. Der Arbeitnehmer hat sich hierfür innerhalb von drei Monaten nach Fristablauf einer medizinischen Untersuchung zur Feststellung des Grades der Berufsunfähigkeit zu unterziehen. In Fällen, in denen dies medizinisch indiziert ist, kann diese Frist bis auf 30 Monate verlängert werden. Während dieser Zeit werden weiterhin sozialversicherungsrechtliche Leistungen nach Maßgabe der vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit (incapacidad temporal) gewährt.

Falls der Arbeitnehmer nach Wiederaufnahme seiner Beschäftigung einen Rückfall erleidet, d. h. dieselbe oder eine ähnliche Erkrankung erneut auftritt, beginnt die Frist für die Leistung der Versicherungszahlungen nur dann neu zu laufen, wenn der Arbeitnehmer zwischenzeitlich mehr als sechs Monate seiner Arbeit nachgehen konnte. Andernfalls wird die Dauer der Rückfallerkrankung in die ursprüngliche Frist eingerechnet.

Attestpflicht

Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, seine Erkrankung durch ein ärztliches Attest nachzuweisen (parte médico de baja). Dieses Attest, das vom zuständigen Gesundheitsamt (servicio médico de salud) ausgestellt wird, muss der Arbeitnehmer innerhalb von drei Tagen seinem Arbeitgeber vorlegen. Dieser wiederum hat dem zuständigen Sozialversicherungsträger innerhalb einer weiteren Frist von fünf Tagen den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers anzuzeigen, um den Versicherer in Kenntnis von seiner Zahlungspflicht zu setzen.

Am 4. Tag der Erkrankung des Arbeitnehmers, und im Anschluss daran alle sieben Tage, stellt der zuständige Amtsarzt des Gesundheitsamts weitere Bescheinigungen über den zu erwartenden Krankheitsverlauf aus, die ebenfalls dem Arbeitgeber und dem Sozialversicherungsträger zuzuleiten sind.

Die amtsärztliche Bescheinigung, die den Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers feststellt, ist innerhalb der nachfolgenden 24 Stunden dem Arbeitgeber vorzulegen und innerhalb weiterer fünf Tage an die Sozialversicherung weiterzugeben.

Berechnung der Versicherungsleistung

Der Arbeitgeber ist ab dem 4. bis einschließlich 15. Tag der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu Zahlungen an diesen verpflichtet, soweit keine abweichende individual- oder tarifvertragliche Regelung vorliegt.

Die Höhe der Versicherungsleistung berechnet sich grundsätzlich aus einem bestimmten Prozentsatz des zunächst zu ermittelnden so genannten Grundbetrages (base reguladora). Dieser Grundbetrag wird im Falle der monatlichen Vergütung bestimmt, indem der Verdienst des jeweiligen Vormonats (base de cotización) – grundsätzlich das Bruttogehalt des Arbeitnehmers – durch 30 (Tage) geteilt wird. Damit ergibt sich ein Tagesverdienst, auf den nun je nach Dauer und Ursache der Arbeitsunfähigkeit ein unterschiedlicher Prozentsatz angewendet wird:

  • Im Falle eines Arbeitsunfalls oder der berufsbedingten Erkrankung beläuft sich die Höhe der Zahlung auf 75 % des Grundbetrages ab dem Tag, der auf den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit folgt;
  • Im Falle eines sonstigen Unfalls oder einer nicht berufsbedingten Erkrankung beträgt die Zahlungshöhe ab dem 4. bis einschließlich 20. Tag nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit 60 % des Grundbetrags, ab dem 21. Tag 75 % des Grundbetrags. Bis einschließlich zum 15. Tag hat der Arbeitgeber für diesen Betrag dem Arbeitnehmer gegenüber aufzukommen.

Diese gesetzliche Regelung kann in erheblichem Umfang tarifvertraglich modifiziert sein. Es ist daher stets der anwendbare Tarifvertrag (convenio colectivo) zu beachten.

Praxis-Beispiel Berechnung Arbeitsunfähigkeit

Berechnung der Versicherungsleistung:

Arbeitnehmer A ist zwischen dem 1. und 27. Juni arbeitsunfähig erkrankt. Sein Bruttogehalt für Mai beträgt 841,42 EUR.

Welche Leistungen erhält er nach der gesetzlichen Regelung während dieser Zeit und von wem?

Lösung

Der Grundbetrag (base reguladora) beträgt 841,42 EUR : 30 (Tage) = 28,05 EUR.

Nun sind zwei Möglichkeiten zu unterscheiden:

1. Im Falle einer nicht berufsbedingten Erkrankung: Ab dem 4. bis zum 20. Juni stehen A pro Tag 60 % von 28,05 EUR zu: 16,83 EUR/Tag. Vom 21. bis 27. Juni sind ihm 75 % von 28,05 EUR zu bezahlen: 21,04 EUR/Tag. Dabei ist ab dem 4. bis einschließlich 15. Juni der Arbeitgeber zur Zahlung verpflichtet.

2. Im Falle eines Arbeitsunfalls oder der berufsbedingten Erkrankung: Ab dem 2. bis zum 27. Juni sind A 75 % von 28,05 EUR, nämlich 21,04 EUR/Tag zu bezahlen. Für den 1. Juni bleibt der Arbeitgeber verpflichtet.

Dieser Beitrag ist nicht als Rechtsberatung zu Verstehen

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Karl H. Lincke, Partner der Kanzlei, hat Rechtswissenschaften studiert und ist auf Mergers & Acquisitions, Gesellschaftsrecht und TMT spezialisiert. Arbeitssprachen: Spanisch, Deutsch und Englisch. Bitte zögern Sie nicht Karl Lincke zu kontaktieren, wenn Sie eine Anfrage diesbezüglich stellen möchten.