Das Studium der Rechtswissenschaften in Deutschland

Jura ist leicht – so betitelt die ZEIT Campus ihr Interview mit Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am BGH, und gibt den Richter wörtlich wieder: Das Jurastudium ist nicht wirklich schwierig. Es scheint mir viel leichter zu sein als Physik, Linguistik oder Elektrotechnik[1]. Ob das Jurastudium tatsächlich leichter als die von Fischer genannten Studiengänge ist, sei dahingestellt. Was es jedoch nicht ist – und damit soll einem allseits bekannten Gerücht entgegengewirkt werden, das dem Jurastudium seit Jahrzenten anhängt –:  ein trockenes Studium, bei dem das reine Auswendiglernen im Mittelpunkt steht. Im Gegenteil, das Jurastudium vereint sowohl aktuelle als auch seit jeher existierende soziale, politische, ethische, philosophische und gesellschaftliche Rechtsfragen, Diskussionen und Themenkomplexe in allen denkbaren Bereichen. Wer nur auswendig lernt, hat daher wohlmöglich sein eigenes Studium noch nicht verstanden, und wer sich von diesem Mythos abschrecken lässt, dem entgeht eine hochinteressante Ausbildung und eine Vielzahl an unterschiedlichsten Arbeitsmöglichkeiten. Wer dagegen neugierig auf das Studium der Rechtswissenschaften in Deutschland ist, dem soll dieser Artikel einen kurzen Überblick über seinen Aufbau geben sowie etwaige Vor- und Nachteile aufzeigen.

Die Wahl der Universität

Nach erfolgreich abgeschlossenem Abitur müssen sich die angehenden Studierenden zunächst an einer Universität mit rechtswissenschaftlicher Fakultät bewerben. Dabei trifft sie jedoch die Qual der Wahl: über 40 deutsche Universitäten bieten den Studiengang Rechtswissenschaften mit dem Abschluss Staatsexamen an. Ein  Hochschulranking[2] kann dann behilflich sein: um die ersten beiden Plätze kämpfen meist die LMU München und die WWU Münster, gefolgt von – beispielsweise – den Universitäten in Bonn, Köln, Berlin, Freiburg und Heidelberg. Alternativ bietet die private Universität Bucerius Law School in Hamburg eine eigene juristische Aus- und Weiterbildung für ausgewählte Bewerber an. Letztendlich ist die in den Rankings angezeigte Qualität  der Universitäten jedoch nur ein Faktor neben der Eignung der Stadt an sich, dem Wohnungsmarkt oder bestimmten Angeboten der Universität, der die Hochschulwahl beeinflussen kann. Denn: letztendlich zählt ein guter Abschluss mehr als das Studium an einer prestigeträchtigen Universität, und Ersteres kann mit ein wenig Arbeit an jeder Hochschule erreicht werden.

Die Bewerbung an der Universität

Die Bewerbung für das Studienfach Rechtswissenschaften an den Universitäten gestaltet sich meist einfacher als für andere Studiengängen, da (meistens) nur die Abiturnote zählt. Immer mehr Universitäten nehmen außerdem seit Kurzem am Dialogorientierten Serviceverfahren (DoSV) teil, ein Onlineportal auf hochschulstart.de, durch welches sich die Absolventen bei den einzelnen Universitäten bewerben können. Abhängig von der Abiturnote sollte für jeden etwas dabei sein, von der Uni Köln (NC von 1,1 für das WS 2015/2016[3]) bis JMU Würzburg (NC-frei).

Das Studium

Teil 1: Der Weg zum ersten Staatsexamen

Ist die Zulassungsbestätigung erhalten, der künftig Studierende eingeschrieben und die Erstiwoche (für viele der Höhepunkt des ersten Semesters) überstanden, kann das Studieren losgehen. Dabei gestaltet sich das Studium, obwohl es generell denselben Leitlinien folgt, von Universität zu Universität ein wenig anders. Am Beispiel meiner Erfahrung an der HU Berlin möchte ich im Folgenden einen typischen Aufbau darstellen.

Grundstudium (1. und 2. Fachsemester)

Das Grundstudium dient dazu, die Studenten in die verschiedenen Rechtsmaterien einzuführen und ein grundlegendes Verständnis für die Materie zu ermöglichen. Im Grundstudium an der HU Berlin werden im Zivilrecht der Allgemeine und Besondere Teil des BGB gelehrt, im Strafrecht der Allgemeine Teil  des StGB und ein Teil der Nichtvermögensdelikte, und im Öffentlichen Recht Staatsorganisationsrecht und Grundrechte. Das Grundstudium wird am Ende des zweiten Semesters mit der Zwischenprüfung abgeschlossen, die Voraussetzung für die Zulassung zum Schwerpunkt (s.u.) ist. An vielen Universitäten erfolgt die Zwischenprüfung jedoch erst am Ende des vierten Semesters.

Hauptstudium (3. und 4. Fachsemester)

Das Hauptstudium vertieft die bereits gewonnen Kenntnisse und wendet sich spezielleren Materien zu. Im Hauptstudium wird den Studierenden an der HU Berlin im Zivilrecht, Familien- und Erbrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht und Sachenrecht nähergebracht. Im Öffentlichen Recht wird Völker- und Europarecht und Verwaltungsrecht (Allgemeines Verwaltungsrecht, Verwaltungsprozessrecht, Bau-, Kommunal- und Polizeirecht) gelehrt, und im Strafrecht die Vermögensdelikte. Weiterhin erhalten die Studierenden Kenntnisse des Zivil- und Strafprozessrechts.

An vielen anderen Universitäten müssen die Studierenden jedoch nur eine bestimmte Anzahl an Vorlesungen in den jeweiligen Bereichen hören und können sich diese selbst aussuchen. Für das Staatsexamen müssen sie dann jedoch alle genannten Themenbereiche lernen, sodass der Umfang der Lehre am Ende derselbe ist.

Sowohl im Grund- als auch im Hauptstudium gibt es – je nach Anzahl und Umfang der Fächer – mehrere Vorlesungen pro Woche, wobei eine Vorlesung eineinhalb Stunden dauert. In der Vorlesung werden die theoretischen Grundlagen für das juristische Verständnis vermittelt. Der Vorlesungsinhalt wird in Arbeitsgemeinschaften vertieft und praktisch angewandt, indem meistens ein Fall mit Bezug zum Vorlesungsinhalt pro Stunde gelöst wird.

Zusätzlich zu den oben genannten Modulen müssen diverese Grundlagenfächer (an der HU Berlin kann man beispielsweise zwischen Rechtsgeschichte, Rechtssoziologie, Rechtsphilosophie, Jewish Law oder Methodenlehre wählen) absolviert werden, sowie Kurse für Berufszusatzqualifikationen und ein Rechtssprachkurs.

Am Ende eines jeden Semesters wird in jedem Modul eine Abschlussklausur geschrieben, wobei ggf. verschiedene Module kombiniert werden. Weiterhin müssen während dieser vier Semester (genauer gesagt, während der Semesterferien) drei Hausarbeiten – jeweils eine im Zivil-, Straf- und Öffentlichem Recht – geschrieben werden. Die Klausuren und Hausarbeiten bestehen meist aus einem Fall, theoretische Fragen sind sehr selten Teil der Aufgabenstellung. Zur Lösung solcher Klausurfälle wird den Studierenden eine bestimmte Technik, der sog. Gutachtenstil, beigebracht. Er besteht aus vier Schritten, wobei am Anfang eine juristische Fragestellung aufgeworfen wird (Obersatz), die entscheidenen Tatbestands- bzw. Gesetzesmerkmale definiert werden (Definition), diese auf den konkreten Fall bezogen werden (Subsumtion) und schließlich daraus das Ergebnis gezogen wird (Konklusion).

Schwerpunkt (5. und 6. Fachsemester)

Der sog. Schwerpunkt stellt den universitären Teil des Ersten Staatsexamens dar und macht in Berlin 30% der späteren Gesamtnote aus. Er wird normalerweise im 5. und 6. Fachsemester absolviert, kann aber auch nach dem schriftlichen Teil des ersten Staatsexamens abgeschlossen werden.

Im Schwerpunktjahr spezialisiert man sich – wie der Name nahelegt – auf einen bestimmten Rechtsbereich, wobei dies nicht bedeutet, dass auch später in eben diesem Bereich gearbeitet werden muss. Die HU Berlin bietet beispielsweise Immaterialgüterrecht, Steuerrecht, Internationales Strafrecht oder Europarecht an. Es gibt jedoch auch die Möglichkeit, sich für den Schwerpunkt an einer ausländischen Universität über das ERASMUS-Programm zu bewerben.

Der Schwerpunkt an der HU Berlin besteht aus einer Klausur, einer mündlichen Prüfung und einer Studienarbeit, die während der Semesterferien geschrieben werden muss, wobei sich der Schwerpunkt im Ausland hingegen teilweise nach den Anforderungen der Gasthochschule richtet.

Für die Zulassung zum Staatsexamen müssen die Studierenden innerhalb der Semesterferien außerdem Praktika absolvieren. An der HU Berlin sind es insgesamt 13 Wochen, wobei das Praktikum bei einem Volljuristen – auch im Ausland – abgeleistet wird.

Vorbereitung auf das Staatsexamen (7. und 8. Fachsemester)

Zur Vorbereitung auf das Erste Staatsexamen sind in der Regelstudienzeit (welche an den meisten Universitäten neun Semester beträgt) zwei Semester vorgesehen, aber das Staatsexamen kann natürlich auch schon vorher absolviert werden. Wie die Vorbereitung auf das Examen erfolgt, ist dem Studierenden selbst überlassen. Die meisten entscheiden sich jedoch entweder für das universitäre oder kommerzielle Repetitorium, in welchem alle Rechtsbereiche wiederholt und in Fällen praktisch angewandt werden. Meistens wird das Repetitorium noch mit einem Klausurenkurs und einer Lerngruppe kombiniert.

Erstes Staatsexamen (9. Fachsemester)

Ein erfolgreiches erstes Staatsexamen ist der wichtigste Schlüssel zu den meisten juristischen Berufen. Es besteht in Berlin zu 30% aus dem universitären Teil – dem oben beschriebenen Schwerpunkt – und zu 70% aus dem staatlichen Teil. Zur Zulassung zum staatlichen Teil des ersten Staatsexamens ist der Nachweis der erfolgreichen Zwischenprüfung, der absolvierten Mindestzahl an Fachsemestern und dementsprechender Klausuren und Hausarbeiten, der Grundlagenfächer und Zusatzqualifikationen und der Praktika notwendig.

In Berlin besteht der staatliche Teil aus sieben fünfstündigen Klausuren, die innerhalb von zwei Wochen geschrieben werden (davon drei Zivilrechts-, zwei Strafrechts- und zwei Klausuren im Öffentlichen Recht) und einer mündlichen Prüfung, in welcher ein Vortrag gehalten und ein Prüfungsgespräch geführt wird.

Wird der staatliche Teil nicht bestanden, kann die gesamte Prüfung nur einmal wiederholt werden, ansonsten ist das erste Staatsexamen endgültig nicht bestanden. Wenn der staatliche Teil allerdings innerhalb der Regelstudienzeit (d.h., im 9. Fachsemester) absolviert wird, hat der Studierende einen weiteren Freiversuch, den sogenannten „Freischuss“.

Exkurs: „Vier gewinnt“

Das Notensystem ist unter Jurastudierenden oft gefürchtet. Es reicht von null bis achtzehn Punkten, wobei die Klausur schon mit vier Punkten bestanden ist (daher auch der oft in Jura vernommene Spruch vier gewinnt). Obwohl der Durchschnitt aller Ergebnisse einer Klausur meist nicht mehr als sechs Punkte beträgt und viele Studierende zunächst von sehr guten Abiturnoten auf durchschnittliche Noten abfallen, sollte man sich auf keinen Fall von diesen Zahlen abschrecken lassen. Die acht Semester Jura dienen dazu, die juristischen Kenntnisse zu formen und zu vertiefen, und durch jede Klausur lernt man ein bisschen dazu. Und was am Ende zählt, ist einzig und alleine das Staatsexamen.

Teil 2: Der Weg zum zweiten Staatsexamen

Technisch gesehen beinhaltet der Weg zum zweiten Staatsexamen kein Studium im oben genannten Sinne, da er nicht mehr an der Universität absolviert wird. Zum besseren Verständnis der juristischen Ausbildung soll er hier jedoch kurz dargestellt werden.

Das Referendariat (2 Jahre)

Das sogenannte Referendariat stellt den zweiten Zyklus der Rechtsausbildung dar und bereitet die zukünftigen Volljuristen auf ihre spätere Arbeit vor. Zusätzlich zum materiellen Recht, was der Absolvent sich während seiner Universitätszeit angeeignet hat, kommt nun auch Prozessrecht hinzu – und das alles in der Praxis. Das Referendariat wird nämlich bei verschiedenen Stationen abgeleistet: in Berlin sind es die Zivilrechtsstation (ordentliches Gericht), Strafrechtsstation (Staatsanwalt), Verwaltungsstation, Anwaltsstation und eine Wahlstation. Allerdings kann die Wartezeit für die einzelnen Stationen je nach Bundesland und Note im ersten Staatsexamen bis zu über 12 Monate betragen. Die gute Nachricht: einmal angenommen, erhält der Referendar im Gegensatz zu den häufig unbezahlten Praktika eine Unterhaltsbeihilfe, die je nach Bundesland ca. zwischen 900 und 1.200 € pro Monat beträgt.

Zweites Staatsexamen

Nach Absolvierung der ersten vier Stationen wird in Berlin der schriftliche Teil des zweiten Staatsexamens geschrieben, der aus sieben Klausuren besteht. Nach Absolvierung der Wahlstation erfolgt die mündliche Prüfung, bestehend aus einem Aktenvortrag und einem Prüfungsgespräch. Wer nun sowohl das erste, als auch das zweite Staatsexamen bestanden hat, darf sich stolz Volljurist nennen.

Zusatzqualifikationen

Wer möchte (und wer entsprechend seiner Bewerbungsunterlagen zugelassen wurde), kann zusätzlich zum Staatsexamen beispielsweise promovieren, habilitieren oder einen Master an einer Universität in Deutschland oder im Ausland absolvieren.

An einigen Universitäten gibt es durch bestimmte Programme außerdem die Möglichkeit, zwei oder mehr Abschlüsse an der deutschen und mindestens einen an einer ausländischen Universität zu erreichen. An der HU Berlin können Studierende beispielweise den double degree an der HU Berlin und dem King’s College London erhalten, oder die European Law School mit Abschluss Staatsexamen an der HU Berlin und jeweils einem Master am King’s College London und an der Panthéon-Assas in Paris oder der Sapienza Universitá di Roma absolvieren.

Arbeitsmöglichkeiten

Der Arbeitsmarkt bietet für Juristen eine Vielzahl an Möglichkeiten. Hat der Studierende erfolgreich beide Staatsexamina absolviert, kann er beispielsweise Rechtsanwalt in einer Kanzlei oder der Rechtsabteilung in einem Unternehmen werden. Möchte er außerdem den Fachanwaltstitel erlangen, muss er eine mindestens dreijährige Zulassung und Tätigkeit in dem gewünschten Bereich vor Antragstellung vorweisen können. Der Volljurist kann weiterhin in der Verwaltung arbeiten oder das Amt eines Richters, Notars oder Hochschulprofessors (mit vorheriger Habilitation) ausüben. Weiterhin kann er in nationalen und internationalen Organisationen, juristischen Fachverlagen oder der Unternehmensberatung tätig werden, um nur einige zu nennen.

Hat der Absolvent lediglich das erste Staatsexamen erreicht, können die klassichen Berufe wie Rechtsanwalt, Richter oder Notar nicht ausgeübt werden. Allerdings kann er beispielsweise als Jurist im Diplomatischen Dienst oder als rechtlicher Betreuer arbeiten. Einige Unternehmen stellen für ihre Rechtsabteilung auch Absolventen ohne zweites Staatsexamen ein.

… und zum Schluss:

Hat Thomas Fischer also Recht? Fakt ist, dass das juristische Studium in Deutschland die Studierenden leider häufig dazu anregt, bis zum zwölften Semester in der hintersten Reihe [zu] sitzen und kein Wort [zu] sagen[4]. Da die Klausuren und Hausarbeiten – und auch das Examen – sehr falllastig sind, neigen viele Studierende dazu, sich lediglich mit Fällen, Definitionen und Schemata für Fälle zu beschäftigen, anstatt ein grundlegendes Verständnis für die theoretische Basis aufzubauen, eigene Positionen zu entwickeln und sich in diesem Sinne auszutauschen, wodurch bedeutende Zusammenhänge und Probleme nicht erkannt werden.

In meinem Schwerpunktjahr am Trinity College Dublin habe ich erlebt, wie die Studierenden ständig dazu aufgefordert wurden, ihre eigene Meinung mitzuteilen, sich über abstrakte Fragen Gedanken zu machen und miteinander darüber zu diskutieren. Ein solches Vorgehen an deutschen Universitäten könnte also ein erster Schritt sein, um das Studium zu entschematisieren und, im Fischerschen Jargon, insgesamt leichter zu machen. Denn trotz der jahrelangen Ausbildung (während andere schon Bachelor, Master und ein festes Gehalt vorweisen können) wartet ein spannendes Studium, ein solider Abschluss und eine Vielfalt an Arbeitsmöglichkeiten auf die zukünftigen Juristen.

Anna-Lena Priebe

[1] Leonie Seifert, “Jura ist leicht”, Interview mit Thomas Fischer, 29. Oktober 2014, 6:56 Uhr; ZEIT Campus Nr. 6/2014, 7. Oktober 2014.

[2] s. zB. http://www.lto.de/jura/uni-ranking/

[3] s. https://www.nc-werte.info/hochschule/uni-koeln/rechtswissenschaft/

[4] Leonie Seifert, “Jura ist leicht”, Interview mit Thomas Fischer, 29. Oktober 2014, 6:56 Uhr; ZEIT Campus Nr. 6/2014, 7. Oktober 2014.

Dieser Beitrag ist nicht als Rechtsberatung zu verstehen